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NRW bittet Brüssel um Schutz vor neuer Blechlawine
NRW bittet Brüssel um Schutz vor neuer Blechlawine
Die neue Europäische Union wird Deutschland ab 2004 besonders stark als Drehkreuz des internationalen Handels beanspruchen. In den Bundesländern wächst deshalb die Furcht vor einem Verkehrskollaps.
Zu Wochenbeginn empfing EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen in Brüssel den nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Axel Horstmann. Wenn man so will, war es ein kurioses Krisentreffen: Denn die erfolgreiche Arbeit des einen SPD-Politikers behindert derzeit die des anderen. Mit der EU-Erweiterung kommen enorme Belastungen auf das Transitland Deutschland im Allgemeinen und den Knotenpunkt NRW im Besonderen zu. Die erwarteten Handelsströme des grenzenlosen Europas werden gerade dort nur schwer in geordnete (Auto-)Bahnen zu lenken sein.
Allein das Handelsaufkommen zwischen Polen und Deutschland werde sich verdreifachen, frohlockt der polnische Botschafter bei der EU, Marek Grela. Eine solche Perspektive darf auch Kommissar Verheugen mit Stolz erfüllen. Nur: Den NRW-Verkehrsminister und dessen Kollegen in den ebenfalls betroffenen Bundesländern stellt sie vor gewaltige Probleme. "Die neuen Verkehrsmengen werden sich leider nicht gleichmäßig auf Europa verteilen, sondern auf die europäischen Hauptachsen konzentrieren", sagt Horstmann. Prognosen zufolge wird in Deutschland der gesamte grenzüberschreitende Güterverkehr im Jahr 2015 gegenüber 1994 um 50 Prozent zugenommen haben.
NRW will jetzt gezielt die Europäische Kommission in die Verantwortung nehmen, um sich für die anrollende Blechlawine zu rüsten. Hinter dem Gang nach Brüssel steht offenbar auch die Hoffnung, eine bessere Position gegenüber der Bundesregierung zu erlangen: Dort trennt man sich bei der Mittelvergabe nur langsam von alten Verteilungsschlüsseln und bewertet die Bedürftigkeit einer Region selten im europäischen Kontext. "Wir wissen, dass die Infrastruktur fundamental ist für den Erfolg der Erweiterung", sagt Alfonso Gonzalez-Finat, Direktor für transeuropäische Netze in der EU-Kommission.
Doch in Brüssel weiß man auch, dass grenzüberschreitende Verkehrsplanung häufig an Koordinationsschwierigkeiten und Eifersüchteleien der Mitgliedsstaaten scheitert. So warb Horstmann in Brüssel für den Ausbau der Güterzugstrecken "Betuwe-Linie" und "Eiserner Rhein", die vom Ruhrgebiet nach Rotterdam bzw. Antwerpen führen und die Straßen entlasten sollen - doch die Unterstützung der Projekte durch die EU wird es so schnell wohl nicht geben. Beim "Eisernen Rhein" blockieren sich Belgier und Niederländer, bei der "Betuwe-Linie" ringen die Deutschen mit vielen ungeklärten Fragen. Wie transeuropäische Netze noch immer funktionieren, veranschaulicht der Prestigezug "Thalys" von Köln nach Paris: Die Lokomotive muss für drei verschiedene Triebsysteme gerüstet sein, weil sie drei EU-Länder durchfährt.
Europa habe die "Dimensionen der Möglichkeiten" für eine sinnvolle Verteilung des Verkehrs auf Straße und Schiene noch nicht erkannt, klagt Heiner Rogge, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes. Er ärgert sich besonders über eine EU-Verkehrspolitik, die sich in Hochglanzbroschüren erschöpfe. Für ihn mache jede Stunde Stau eine Lkw-Fracht 40 Euro teurer.
Von WAZ-Korrespondent Tobias Blasius, Brüssel
17.09.2003 / POLITIK / WAZ
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